Während viele westeuropäischen Städte unter Overtourism leiden, steckt der Fremdenverkehr in der nordmazedonischen Hauptstadt Skopje noch immer in den Kinderschuhen. ReiseInsider hat sich ein Bild von der ältesten bewohnten Stadt Südosteuropas gemacht.
Die mehr als 2000 Jahre alte Geschichte Mazedoniens - die Umbenennung auf den Namen Republik Nordmazedonien erfolgte erst im Jahr 2019 - ist von zahlreichen Konflikten und Kriegen geprägt. Die rund 500.000 Einwohner zählende Stadt ist multiethnisch, was in den vergangenen hundert Jahren wiederholt zu blutigen Auseinandersetzungen führte, die auch im Stadtbild sichtbar geblieben sind. Römische, osmanische und jugoslawische Einflüsse prägen Skopje bis heute. Doch das große Erdbeben vom 26. Juli 1963 mit 1.070 Toten sowie das umstrittene Projekt "Skopje 2014" veränderten das architektonische Erscheinungsbild der Stadt erneut grundlegend.
Kitschhauptstadt Europas
Ein - wenn auch nicht unbedingt gern gehörter - Beiname Skopjes lautet "Kitschhauptstadt Europas". Wie ist es dazu gekommen? Im Jahr 2010 startete der damalige nationalistische Premierminister Nikola Gruevski mit seiner Partei das Projekt "Skopje 2014". Es sah den Bau von mehr als 20 Gebäuden im barocken Stil vor, die als Museen oder Verwaltungseinrichtungen dienen sollten. Zudem wurden ein Triumphbogen nach Pariser Vorbild und zahlreicher Statuen und Denkmäler nationaler Helden errichtet, um an die glorreiche Geschichte Mazedoniens zu erinnern.
Das ursprünglich mit rund 80 Millionen Euro veranschlagte Projekt stand sinnbildlich für eine Politik der Geschichtsvereinnahmung und sorgte nicht nur bei den Nachbarn in Griechenland für Unmut. Das mittlerweile rund 700 Millionen Euro teure Vorhaben wurde jedenfalls nie vollendet - der spätere sozialistische Ministerpräsident Zoran Zaev verhängte 2017 einen Baustopp für das Megaprojekt.
Gerade diese gewissermaßen kitschige Architektur zieht heute allerdings internationale Besucher an. Nirgendwo sonst in Europa finden sich so viele Bauten in diesem eigenwilligen "neobarocken" Stil. Das Archäologische Museum Mazedoniens, der Mazedonienplatz mit der monumentalen "Alexander der Große"-Statue samt Springbrunnen-Ensemble sowie die zahlreichen Brücken mit ihren Statuen über den Fluss Vardar machen Skopje einzigartig. Betrachtet man die Gebäude genauer, zeigt sich allerdings schnell, dass bei der Umsetzung gelegentlich mehr "Schein als Sein" herrschte.
Zwischen Altstadt und Moderne
Das Stadtzentrum von Skopje lässt sich bequem zu Fuß erkunden. Im Umkreis von weniger als einem Kilometer liegen nahezu alle Sehenswürdigkeiten - darunter der Triumphbogen, das Mutter-Teresa-Gedenkhaus, das die Lebensgeschichte der in Skopje geborenen Ordensschwester erzählt, sowie zahlreiche christliche und orthodoxe Kathedralen. Breite Boulevards nach westlichem Vorbild mit Cafés laden zum Flanieren und Verweilen ein.
Das genaue Gegenstück zum gepflegten, christlich-orthodoxen Viertel südlich des Vardar ist die nördlich gelegene Altstadt. Über die berühmte Steinbrücke aus der Römerzeit - heute das Wahrzeichen Skopjes und im Stadtwappen verewigt - gelangt man in das osmanisch geprägte Viertel. Der Alte Basar wurde vom "Skopje 2014"-Projekt glücklicherweise verschont und zeigt sich mit engen Gassen, Cafés, Restaurants und einem Goldbasar, der vielleicht sogar mit jenem in Dubai mithalten kann. Hier spürt man Authentizität, erlebt lokale Märkte und islamische Traditionen hautnah.
Festung und Hausberg Vodno
Von der Altstadt aus ist die auf einer Anhöhe gelegene Festung Skopje in wenigen Minuten erreichbar. Der Eintritt in das großflächige Areal mit seinen wiedererrichteten Stadtmauern ist kostenlos. Zwar bietet der Rundgang entlang der Mauern beeindruckende Ausblicke auf die Stadt, doch fehlt es an zusätzlicher Infrastruktur oder touristischer Aufbereitung. Der Eindruck drängt sich auf, dass Nordmazedonien sein touristisches Potenzial bislang kaum erkannt oder genutzt hat.
Ein weiteres Beispiel ist der 1.066 Meter hohe Hausberg Vodno. Auf dem Gipfel thront das 66 Meter hohe Millenniums-Kreuz, eine nachts beleuchtete Stahlkonstruktion, die besonders vom muslimischen Stadtteil aus gut sichtbar ist - was teilweise als Provokation gesehen wird. Eine moderne Seilbahn eines österreichischen Herstellers bringt Besucher für nur 100 Mazedonische Dinar (rund 1,65 Euro) hinauf. Trotz des günstigen Preises wirkt die Gipfelregion enttäuschend: Abgesehen vom herrlichen Ausblick gibt es kaum Infrastruktur, nur ein paar unaufregende Lokalitäten. Mit etwas Investitionsbereitschaft ließen sich hier attraktive Cafés oder dergleichen schaffen.
Rund um Skopje: Der Matka Canyon
Wer Skopje besucht, sollte unbedingt einen Abstecher zum 17 Kilometer entfernten Matka Canyon einplanen. Der künstlich entstandene Stausee, der 1938 von deutschen Ingenieuren erbaut wurde und heute vom österreichischen Energieunternehmen EVN bewirtschaftet wird, dient der Stromversorgung der Stadt. Seit 1994 steht die Matka-Schlucht als Naturdenkmal unter Schutz. Laut geo.de zählt sie zu den fünf Naturwundern Osteuropas und beherbergt zahlreiche Wildtiere. Unterirdische und über dem Wasser liegende Höhlen können im Rahmen einer Bootstour besichtigt werden. Alternativ lässt sich der Canyon aktiv mit dem Kajak oder auf einem gut ausgebauten, rund sechs Kilometer langen Wanderweg erkunden. Vom Hausberg Vodno führt zudem ein etwa zehn Kilometer langer Treck dorthin.
Gerade einmal 1,2 Millionen Besucher jährlich
Dass Nordmazedonien touristisch noch weitgehend unentdeckt ist, zeigen die Zahlen: Im vergangenen Jahr besuchten nur 1.260.425 Touristen (allerdings mit einem Plus von 7,85 Prozent) das Land, darunter 830.179 ausländische Gäste. Die Hauptstadt Skopje war das beliebteste Ziel, gefolgt vom Ohridsee. Das Land ist äußerst preisgünstig, die Menschen sind häufig herzlich, und man hat das Gefühl, dass sich Nordmazedonien bislang weit unter seinem eigentlichen Potenzial präsentiert - ein "Hidden Place", der es wert ist, entdeckt zu werden.
Reiseinformationen
Anreise:
Sowohl Austrian Airlines ab Wien als auch Wizz Air ab dem grenznahen Flughafen Bratislava fliegen mehrmals wöchentlich nach Skopje. Wizz Air bedient ab Bratislava zudem Direktflüge nach Ohrid.
Beste Reisezeit:
April bis Oktober
Landeswährung:
Mazedonischer Dinar (1 Euro = ca. 61 Dinar). Die Lebenshaltungskosten liegen rund 30 Prozent unter jenen in Österreich.
Übernachtung:
In Skopje gibt es zahlreiche günstige Unterkünfte bis hin zu 5-Sterne-Hotels, die in der Nebensaison oft weniger als 150 Euro pro Nacht kosten. ReiseInsider-Tipp: Liri’s Home - ein charmantes Apartment nahe der Altstadt.
















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