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Interview: Albanien im touristischen Wandel

Erstellt von Martin Dichler.  Veröffentlicht am 13.03.2023

ReiseInsider traf den albanischen Botschafter Roland Bimo zum Gespräch.

Reizvolle Küstenstraße in Albanien. © Martin DichlerRoland Bimo ist seit 2014 Botschafter der Republik Albanien in Österreich. © Martin Dichler

Wer Albanien als Tourist besucht, wird eines feststellen: Das Land befindet sich eindeutig im Umbruch! Neue Hotelprojekte schießen nicht nur in der Hauptstadt Tirana wie die sprichwörtlichen Pilze aus dem Boden -sondern auch an der 476 Kilometer langen Adriaküste. Die Besucherzahlen bestätigen diesen Umbruch - rund 7,5 Millionen Gäste (+8,8 Prozent) besuchten im letzten Jahr das Land am Balkan.

Roland Bimo ist Botschafter der Republik Albanien in Österreich. ReiseInsider hat den erfahrenen Diplomaten zum Interview in Wien getroffen, um über die aktuellen touristischen Entwicklungen seines Landes zu sprechen.

ReiseInsider: Für die Besucher Albaniens scheint ihr Land derzeit eine Art Goldrausch zu erleben. Überall wird gebaut, zahlreiche Infrastruktur- und Tourismusprojekte werden realisiert. Wie sehen Sie die aktuellen Entwicklungen in Ihrem Land?

Roland Bimo: Es ist nicht leicht, eine so rasante Entwicklung in den Bereichen Bauwesen, Infrastruktur, Ausbau und Verbesserung der touristischen Möglichkeiten und ein so dynamisches unternehmerisches Umfeld überzeugend zu beschreiben und zu erklären.

Man mag mit der Wirtschaftspolitik, die das Land derzeit verfolgt, nicht ganz einverstanden sein, aber es scheint offensichtlich, dass sich die meisten, wenn nicht alle Bemühungen auf die Entwicklung des Tourismus konzentrieren. Der Fremdenverkehr scheint der wichtigste Faktor zu sein, auf den die albanischen Behörden die wirtschaftliche Zukunft des Landes setzen.

Im ganzen Land werden neue Straßen gebaut, neue Flughäfen sind im Bau und neue in Planung. Mehrere Tunnel werden gebohrt, um die Entfernungen zu touristischen Zielen zu verkürzen. Derzeit werden mehrere Studien zur Entwicklung des Bergtourismus einschließlich des Wintersports geprüft, für den die albanische Geographie hervorragende Möglichkeiten bietet. 

Was die Steuerpolitik betrifft, so sind kleine Unternehmen von Steuern befreit, die Mehrwertsteuer für Tourismusunternehmen beträgt nur 6 Prozent, und die Wiederbelebung der Stadtzentren aller Städte sind nur einige der Gründe, die einem sofort einfallen, wenn man versucht, das rasche Entwicklungstempo zu verstehen und zu erklären. Zu all dem, was durch offizielle Daten verschiedener Organisationen, die die Entwicklung Albaniens beobachten, untermauert wird, möchte ich die dynamische, an Chaos grenzende Natur der Albaner hinzufügen. Sie zögern nicht, in einem sehr schwierigen und unsicheren Geschäftsumfeld neue Initiativen zu ergreifen. Natürlich kann es sein, dass meine Beobachtung weit von den wirklichen Gründen entfernt ist, aber das ist es, was ich denke. 

ReiseInsider: Woher kommt dieser Antrieb, dass innerhalb kürzester Zeit eine Vielzahl von Projekten, darunter der Bau von zwei neuen Flughäfen (Vlora, Kukes) oder ein milliardenschweres Hafen- und Tourismusprojekt in Durres, fast gleichzeitig in Angriff genommen werden?

Roland Bimo: Die Hotelkapazitäten werden erweitert und verbessert. Die Zeit, in der man sich von einem Ort zum anderen bewegen kann, und die Transportmittel werden dank der neuen Straßen, die bereits gebaut wurden und noch im Bau sind, erweitert.

Es sieht so aus, als ob die sehr liberale Wirtschaftspolitik, bei der PPP (Private-Public Partnership) in Betracht gezogen und von der Regierung zur Förderung und Stärkung des Privatsektors eingesetzt wird, einen großen Anstoß gegeben hat. Meiner Meinung nach ist die Achillesferse der albanischen Wirtschaft der schwache Privatsektor, der weiterhin so sehr von staatlich finanzierten Projekten und Maßnahmen abhängig ist.

Das liegt auch an der Vision der albanischen Regierung und den für die künftige Entwicklung gesetzten Prioritäten. Generell scheint die Maxime "Freiheit wirkt" in Albanien recht deutlich zum Ausdruck zu kommen.   

ReiseInsider: Anfang der neunziger Jahre haben zahlreiche Unternehmen wie Austrian Airlines oder Robert Rogner mit seinem Hotel in Tirana das Potenzial Albaniens früh erkannt. Heute investieren zunehmend auch türkische und arabische Unternehmen in die Zukunft des Landes. Haben die Europäer hier eine Chance verpasst?

Roland Bimo: Nun, es ist normal, dass es eine Kluft zwischen den Erwartungen und der Realität gibt. Ich sage das vor dem Hintergrund, dass die Erwartungen an Investitionen und eine stärkere wirtschaftliche Präsenz der europäischen Länder höher waren. Aber wenn man sich den Finanzsektor anschaut, dann ist die Raiffeisen Bank der Hauptakteur im Banken- und die Vienna Insurance Group und Uniqua im Versicherungssektor sind die Hauptakteure in Albanien. Natürlich brauchen wir viel mehr Zugang zu Investitionen aus dem Westen, wo das beste Know-how und die beste Expertise für das Management und fast alles, was mit dem wirtschaftlichen Fortschritt zu tun hat, zu finden ist. Mit dem Fortschreiten des Beitrittsprozesses zur Europäischen Union werden die europäischen Unternehmen wahrscheinlich ein besseres Geschäftsklima vorfinden.  

ReiseInsider: Es stellt sich die Frage, ob dieser Bau- und Tourismusboom nicht irgendwann nach hinten losgehen könnte? Verfügt die Regierung über eine Art Masterplan für die Entwicklung des Tourismus?

Roland Bimo: Die kurze Antwort lautet: Ja, das tut sie. Aber in der heutigen Welt, in der es so viele unvorhergesehene Herausforderungen und Krisen gibt, braucht man nicht nur einen Plan, sondern muss auch flexibel sein, um sich an verschiedene Situationen anzupassen. Rasche Entwicklungen in einem Sektor können Druck auf andere Bereiche ausüben, wie z. B. der Bedarf an mehr Energie in einer Zeit, in der die Welt enorme Probleme mit der Energieversorgung hat. Albanien setzt auf erneuerbare Energien. Bislang ist unsere wichtigste Energiequelle die Wasserkraft. Die Regierung liberalisiert die Politik zur Förderung von Investitionen in Solar- und Windenergie auf jede erdenkliche Weise.

ReiseInsider: Der Geschäftsführer des nordalbanischen Flughafens Kukes sagte einmal in einem Interview, dass der albanische Markt bisher unterversorgt sei und dass es in Zukunft möglich sein sollte, 10 bis 15 Millionen Passagiere pro Jahr in Albanien zu begrüßen! Wie sehen Sie die zukünftige Entwicklung, steht Albanien erst am Anfang einer neuen touristischen Ära?

Roland Bimo: Ich muss mich dafür entschuldigen, dass ich mich nicht zu konkreten Zahlen äußern kann. Aber ich bin mir sicher, dass die rasche Entwicklung Albaniens auch mit der sehr niedrigen Ausgangsbasis zu tun hat, von der aus wir gestartet sind. Wir sind gerade erst dabei, die langen Jahre der aufgezwungenen Selbstisolierung unter dem Kommunismus wirtschaftlich hinter uns zu lassen. Das ist eine überzeugende Sichtweise, wenn man versucht, eine schnelle Entwicklung zu erklären.

Der Transport und insbesondere der Flugverkehr waren ein weiterer treibender Faktor. Fast ebenso viele Albaner, die im Lande sind, sind in den letzten drei Jahrzehnten in andere Länder ausgewandert. Sie halten enge Kontakte zu ihren Verwandten im Lande. Ihr Hin- und Herreisen und das zunehmende Interesse ausländischer Touristen lassen die Zahl von 10 bis 15 Millionen Passagieren pro Jahr in naher Zukunft durchaus möglich erscheinen.     

ReiseInsider: Die letzte Frage muss natürlich noch gestellt werden, seit Juni 2014 ist Albanien ein offizieller Kandidat für die Mitgliedschaft in der Europäischen Union. Wann rechnen Sie mit einer Aufnahme Ihres Landes in die EU?

Roland Bimo: Seit Juni 2014 ist eine Menge passiert. Diesmal war es der Juli und das Jahr 2022, in dem Albanien offiziell Beitrittsverhandlungen aufgenommen hat. In diesen acht Jahren hat sich die Erweiterungspolitik der EU mehr verändert als in der gesamten Zeit ihres Bestehens. Die EU-Erweiterungspolitik wurde überarbeitet und so gestaltet, dass die neuen Mitglieder strengere Kriterien erfüllen als bei früheren Erweiterungen. Das ist gut für die Union und für die neuen künftigen Mitglieder.

Wir stellen jedoch fest, dass die Erweiterung manchmal zu einem Bezugspunkt für die Mitgliedstaaten wird, um ihre nationalen Interessen gegenüber neuen Mitgliedern durchzusetzen, und zwar in Fragen, die kaum etwas mit den Grundsätzen der Europäischen Union zu tun haben können. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine und die Bedrohung, die Russland für die Sicherheit der Mitgliedstaaten der Europäischen Union darstellt, kann eine Chance für Albanien sein, aber auch eine neue Herausforderung. Sicher ist, dass Albanien den Weg der Integration in die Europäische Union weiterverfolgen wird, egal wie lange es dauern wird. Wir werden unser Bestes tun, damit dies bald geschieht.

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